Wir lassen alles hinter uns: Familie, Freunde, die
Gewohnheit! Eines Tages steigen wir in ein Flugzeug ein und fliegen weg! Ins
Unbekannte- Wir lassen 16 Jahre unseres Lebens hinter uns, um an einem Tag ein
komplett neues anzufangen.
Wenn wir aus dem Flugzeug aussteigen sind wir alleine!
Vielleicht sind wir mit anderen Austauschschülern geflogen, aber prinzipiell
sind wir alleine. Alleine an einem Flughafen, den wir nicht kennen, in einem
Land, das uns völlig fremd ist und mit einer Sprache, die wir nicht wirklich
beherrschen. Wir stehen am Anfang unseres vielversprechenden Jahres.
Das ist der Moment, wenn wir realisieren, dass es ab sofort
keine Eltern mehr gibt! Die Kofferausgabe wird ab jetzt alleine gefunden,
anstatt nur hinter her zu laufen. Wir alle hoffen, dass unsere Koffer ankommen-
was für eine Horrorvorstellung: ganz alleine im völlig fremden Land ohne seine
Sachen da zustehen. Wenn wir dann- hoffentlich erfolgreich- unsere Koffer in
den Händen haben, durch die Pass-und Zollkontrolle durch sind, kommt der
schwierigste Schritt des ganzen Jahres: die Tür zu durchqueren. Eine eigentlich
ganz normale Tür, die jeden Tag von hunderten Menschen durchquert wird. Aber
für uns Austauschschüler ist sie viel mehr als „nur“ eine Tür! Es ist der Start
unseres Jahres. Keiner weiß, was ihn auf der anderen Seite erwartet. Wird es
ein tolles oder schlechtes Jahr? Werde ich schnell Freunde finden? Wie wird
meine Gastfamilie wohl sein? Das sind Fragen, die wir uns alle stellen. Diese
Tür ist die Grenze zwischen dem neutralen Flughafen und unserem neuen, völlig
unbekannten Leben. Diese Tür ist die Grenze zwischen deiner Familie, von der
wir uns schmerzvoll in Deutschland verabschieden mussten und einer neuen
fremden. Eine Familie, die auf der anderen Seite wartet. Eine Familie, die wir
bisher nur von Emails und Fotos kannten. Diese Tür ist der Start in unser neues
Leben. Wenn wir diese durch quert haben, gibt es kein Zurück mehr. Wir sind
mitten in unserem neuen Leben. Dieses fängt direkt bei der Begegnung deiner
neuen Familie an und der ersten gemeinsamen Autofahrt zu unserem neuen zu
Hause. Wir sind überwältigt von allem: der neuen Umgebung, den Personen, der
neuen Sprache und selbst von dem neuen Verkehr. Diese Fahrt werden wir
wahrscheinlich nie vergessen.
Mit der Zeit werden uns das neue Haus, die neue Umgebung und
unsere neuen Familien immer gewohnter. Wir wissen irgendwann wo die Teller in
der Küche stehen, wie der Fernseher funktioniert, den weg um nach Hause zu
kommen und wir merken, wie unsere Beziehung zu unseren Familien immer besser
wird.
Aber kaum haben wir uns an die gröbsten Dinge gewöhnt,
müssen wir den nächsten schwierigen Schritt wagen: der erste Schultag! Die
komische neue Schuluniform angezogen, kommen wir im der Schule an, in der wir
keinen kennen. Im Idealfall begleiten uns unsere Gasteltern noch rein, aber
wenn sie weg sind, sind wir wieder einmal ganz alleine. Kennen keinen, können
die Sprache nicht und alle starren uns an! Jedem müssen wir erklären, wer wir
sind, woher wir kommen und was wir hier machen- mit unseren gebrochenen Sprachkenntnissen.
Zusätzlich muss den Lehren erfolgreich erklärt werden, dass wir bloß
Austauschschüler sind und deswegen keine Noten brauchen. Wir sind gekommen um die
Kultur kennen zu lernen, Freunde zu finden und die neue Sprache zu lernen. In
diesem Jahr lernen wir keinen – Schulstoff- wir lernen Leben! Wir lernen in einer
anderen Kultur zu leben, wir lernen eine neue Sprache, wir lernen ohne unsere
eigentliche Familie zu leben und unsere Probleme alleine zu lösen. Wir lernen
selbständig zu sein!
Aber Jeden Tag wird es in der Schule besser. Jeden Tag
verstehen wir mehr- irgendwann können wir uns ohne Probleme unterhalten. Dann
dauert es nicht mehr lange, bis wir- im Normalfall- Freunde finden. Menschen,
die wir vor ein paar Monaten ncoh nicht mal kannten. Menschen, die uns am Anfang
nur angestarrt haben. Menschen, deren Muttersprache eine andere ist als die
unsrige. Diese Menschen werden zu unseren Freunden. Freunde, für die es sich
lohnt morgens aufzustehen und in die Schule zu gehen. Wir merken, wie ist jeder
gemeinsamen Aktivität unsere Freundschaften besser werden: Wir fühlen uns in
den Pausen nicht mehr bloß wie Dekoration,
die zwar gerne dabei sitzen darf, aber eigentlich nicht richtig dazugehört,
sondern wir fühlen uns als Teil des Freundeskreises. Aber auch wenn wir tolle
Freunde gefunden haben, fühlen wir uns trotzdem manchmal völlig fehl am Platz.
Wenn diese zum Beispiel anfangen von anderen Leuten zu reden und du nicht mal
die geringste Ahnung hast, wer das ist.
Austausch ist wunderbar, schrecklich, das Beste überhaupt
und zugleich das schwerste Jahr unseres Lebens. Austausch ist wunderbar, wenn
wir merken, dass wir tolle Freunde gefunden haben, uns als richtiges
Familienmitglied unserer Gastfamilien fühlen und die Tage, an denen wir in
unseren Zimmern rumsitzen und uns langweilen immer weniger werden. Aber
Austausch ist nicht immer so leicht und jeder, der denkt: „Ich mach mal ein
chilliges Jahr, in dem alles einfach ist“, liegt völlig falsch! Alles, was wir
erreichen, haben wir uns selbst erkämpft, nichts kommt uns zugeflogen. Die
Freunde haben wir, weil wir auf sie zugegangen sind und uns mit ihnen
unterhalten haben, weil wir gefragt haben, ob wir mal was zusammen machen
wollen. Weil wir offen für sie waren. Freunde finden sich definitiv nicht von
alleine! Als Familienmitglied fühlen wir uns, weil wir uns an die komplett
andere Lebensweise anpassen, weil wir das neue Essen essen und weil wir zuerst
sagen, dass wir sie lieb haben! Die langweiligen Tage werden weniger, weil wir
uns neue Hobbies suchen!
Wir machen die ersten Schritte und gehen auf alles Neue zu,
aber manchmal hilft das alles nichts. Manchmal wollen unsere Klassenkameraden
einfach nichts mit uns zu tun haben oder wir fühlen uns nicht als richtiges
Familienmitglied. Alle sagen uns, dass wir einfach offen und flexibel und uns
integrieren müssen! Aber manchmal ist das nicht möglich- schon gar nicht „einfach“!
Das ist der Punkt, wo wir merken, dass Austausch nicht so einfach ist, wie viele
davor meinten. Austausch hat zwei Gesichter: das total glückliche mit allen
Fotos, die wir bei Facebook und Instergram hochladen, die jeden neidisch
machen. Das andere ist das schwierige, sich völlig fehl am Platz fühlende und
das „die gute alte Gewohnheit in Deutschland vermissende“ Gesicht. Keiner zu
Hause bekommt es mit, wenn du am ersten Schultag auf dem Schulklo Tränen in den
Augen hast, weil dich alle nur anstarren und das mit der Kommunikation doch
schwieriger ist als du dachtest. Wenn du
mal wieder ein Abendessen ohne einen Wortwechsel hast, weil du einfach nicht
weißt, worüber du sprechen solltest oder nicht mal zum gemeinsamen Abendessen
gerufen worden bist. Keiner bekommt es mit, wenn du heimlich die Tage zählst,
bis du endlich wieder deine richtige Familie in den Armen halten kannst und
deine Gewohnheit zurückhaben kannst. Keiner bekommt die ganzen angefangenen
Gespräche mit, die kein Ende haben, weil sich der Gesprächspartner einfach
umdreht. Keiner kann die Kopfschmerzen und
die Müdigkeit am Ende eines langen und auf einer anderen Sprache rumschreienden
Mitschülern nachvollziehen. Keiner versteht es, wenn sich in deinem Kopf
plötzlich drei bis vier Sprachen mischen und es schwierig wird Deutsch
vernünftig zu sprechen.
Austausch ist ein Jahr, das wir in unserem Leben nie
vergessen werden. Mit all den tollen, wunderbaren und atemberaubenden Dingen,
die wir erleben dürfen, den Menschen und den neuen Freunden, die wir am Ende
haben, mit dem zweiten Zuhause, dass wir nun haben. Aber Austausch heißt auch
sich, sich völlig fehl am Platz zu fühlen, Heimweh zu haben und seine Probleme
alleine lösen zu müssen. Aber genau das lässt uns wachsen! Jedes große und
scheinbar unlösbares Problem, das wir gelöst haben, hat uns stärker gemacht.
Wir wissen jetzt, wie sich Austausch anfühlt und was es heißt, alleine in einem
fremden Lang ein Leben anzufangen. Austausch verändert uns! Macht uns
selbstständiger, anpassungsfähiger und toleranter! Deswegen sollte jeder einmal
in seinem Leben ein Austauschschüler gewesen sein! Vergesst nie: Die
schwierigen Zeiten machen die guten besser!
alle Austauschschüler in Ecuador 2014/2015 |
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